Neurobiologie

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HerbstnebelFünf vor acht, ich bringe die Mädchen zur Schule. Wir gehen den Weg an der Schüss unter den alten Kastanien entlang, es ist kühl und es regnet. Ich atme tief ein, es riecht nach feuchter Erde und nassem Laub. Die kalten Wassertropfen, die mir ins Gesicht fallen, machen mich wach. Überall auf dem Weg liegen bunte Blätter: rot, braun, gelb. Die Schulranzen der Mädchen leuchten gegen das Wettergrau an. Ich höre die beiden plappern und schmunzle. Ein wunderbarer Herbstmorgen.

Vor uns biegt von rechts eine Frau auf den Weg ein. Sie ist dunkelblau, Schuhe, Hose, Mantel, Hut, Handtasche. Auf dem Regenschirm Motive von Gustav Klimt, alle in Blau. Hinter sich trägt sie eine Wolke eines schweren Parfums wie eine Schleppe. Ich spüre, wie es in meine Nasenhöhlen kriecht, sie ausfüllt, alles verdrängt, sämtliche Rezeptoren besetzt, klebrig und zäh. Die Frische der Herbstluft ist verschwunden. Ich möchte nicht mehr einatmen, versuche, die Luft anzuhalten. In meinem Mund breitet sich ein Geschmack aus, als hätte ich an einem Stück Kernseife geleckt. Würgen im Hals. Ich merke, wie meine Stimmung sich verändert. Die gute Laune ist dahin, der Regen nur noch nass und kalt, das fröhlich leuchtende Geplapper der Kinder verwandelt sich in nerviges Geschnatter. Zwischen meinen Augenbrauen entsteht die senkrechte Falte des Unmuts. STOP! Ich will das so nicht und bleibe stehen. Die Frau läuft geradeaus weiter, wir müssen abbiegen – zum Glück! Ich atme ein paar Male ganz tief, um den klebrigen Geruch aus meinen Sinnen zu entfernen.

Alles Neurobiologie, denke ich.

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